Reisetag 50
Heute ist Besichtigungstag in Kigali, der Hauptstadt Ruandas.
An Ruanda kann sich jeder von uns noch Erinnern. Eine plötzliche Gewaltexplosion mit einem Genozid der Hutus an den Tutsis. Und machtlos zuschauende Blauhelme und einer ignoranten Weltpolitik...wie so oft.
Von April bis Juni 1994 wurden 500.000 bis 1.000.000 Tutsi und missliebige Hutu ermordet.
Vor 24 Jahren. Wenn man jetzt durch dieses Land geht hält man's nicht für möglich. Aber wie konnte es soweit kommen?
Eigentlich gleicht der gesamte Konflikt einem brutalen und zynischen Sozialexperiment.
Hutu und Tutsi sind keine Völker, keine Ethnien. Auch kein Adel und Volk, sie sind alle überzeugte Christen. Einen rassistischen Hintergrund für den Massenmord eines Volkes an einem anderen zu unterstellen greift weit zu kurz.
Hutu und Tutsi gab es schon in der Vorkolonialzeit. Als Hutu wurden die Feldbauern bezeichnet, als Tutsi die Viehzüchter.
Die Tutsi waren wohlhabender und die Hutu stets die Mehrheit. Der soziale Aufstieg von Hutu zu Tutsi war aber durchaus möglich, man musste z.B. einfach mit Viehzucht beginnen.
Korrekter Weise muss man von Kasten und nicht von Ethnien sprechen.
Dann kamen die Kolonialherren. Zuerst Deutschland. Die Strukturen der Heimat gewöhnt suchte man ein Pendant des Adels oder einer Elite denen man Macht übertragen konnte. Das gab es in Ruanda nicht. Also nahm man die Kaste der Viehzüchter und erhob sie zu Übermenschen. Die Grenzen zwischen den sozialen Gruppen wurden betoniert, eine Durchlässigkeit von unten nach oben gab es nichtmehr. Die Einteilung wer was ist erfolgte durch die Fremdherrscher mehr oder weniger willkürlich. Wer viele Kühe (mehr als 10) hatte war Tutsi, wer weniger Kühe hatte war Hutu. Es wurden aber auch die typischen rassistischen Methoden wie Einteilung nach Schädelform, Grad der Hautdunkelheit usw. zur Diskriminierung benützt.
Somit schaffte man eine elitäre Minderheit. Der Schritt von der Kaste Richtung geschlossene Volksgruppe war getan. In den folgenden Jahrzehnten gab es unter den deutschen und den nachfolgenden belgischen Kolonialherren eine konsequente Bevorzugung der Tutsi. Eine kleine 'Herrenrassse" war geschaffen.
In den 30ern führten die Belgier Ausweise ein, mit dem schweren Fehler, die Zugehörigkeit zu Hutu oder Tutsi im Ausweis zu vermerken. Damit war endgültig eine "Pseudo-Ethnie" geschaffen.
Es ergaben sich soziale Spannungen die noch unter Kolonialherrschaft in den 50ern zur Einbindung von Hutus in die Verwaltung führten. Dies erzeugte wiederum Existenzängste der Tutsi Minderheit.
Die Hutu bekamen mehr und mehr Macht und
Nach Ende der Kolonialzeit übernahmen die Hutu die Regierungsmacht, sie waren ja die große Mehrheit.
Es kam immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei Eskalationen 1962 und 1972 kamen wurden bereits zig tausende Tutsi ermordet. Die Verfolgungen wurden von den Hutu Führungen als Kampf eines Volkes gegen die ehemaligen Unterdrücker stilisiert.
Andere zig tausende Tutsi flohen in die Nachbarländer und bauten dort eigene, bewaffnete Tutsi-Milizen auf die immer wieder Angriffe durchführten.
Ruanda ging es in den 80ern zunehmend schlechter. 75% der Exporte war Kaffee und der Weltmarktpreis verfiel massiv. Zusätzlich eine sich explosiv vermehrende Bevölkerung...das Land wurde knapp und fur viele Ruander bedeutete dies völlige Perspektivlosigkeit.
Die externe Tutsi Armee griff 1992 militärisch von Uganda aus das Hutu regierte Ruanda an. Der amtierende Präsident konnte den Angriff mit belgischer und französischer Militärunterstützung zurückschlagen. Die Franzosen begannen daraufhin die Ruandischen Armee massiv zu unterstützen und aufzubauen. Es wurden sehr, sehr viele Waffen nach Ruanda verkauft und geliefert.
Die Tutsi Rebellen Armee blieb weiter stark, sie war zurück gedrängt aber bei weitem nicht besiegt. Die Hutu Regierung begann systematisch eine Plan für die "endgültige Lösung des Tutsi Problems" aufzustellen.
Listen wurden erstellt, paramilitärische Einheiten wurden ausgebildet innerhalb von möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen zu ermorden.
Es wurden Code Wörter festgelegt. Das Fällen großer Bäume als Aufforderung über das Radio sollte das Morden beginnen lassen.
Am 06. April 1994 wurden Ruandas und Burundis Präsident beim Landeanflug auf Kigali abgeschossen. Ihr Flugzeug wurde von einer Boden-Luft-Rakete getroffen, dies wurde als Auslöser genommen. Das Morden begann. In knapp 100 Tagen fiel jeder über jeden her. Nachbarn über Nachbarn, Freunde über Freunde. Das ganze Land war voll mit Toten. Viele von ihnen konnten nicht identifiziert werden weil schlichtweg niemand mehr lebte der die Leichen identifizieren hätte können.
Monate vor dieser Eskalation war ein Informant, ein ehemaliger Leibwächter des Präsidenten an die kanadisch geführten Blauhelme im Land herangetreten. Er lieferte Informationen über all die Vorbereitungen zum Massenmord und den Hinweis das dieser bald starten würde. Dafür wollte er den Schutz der Blauhelme. Dieser wurde ihm nicht gewährt und er verschwand.
Der Kommandeur bat die UN umgehend um mehr Soldaten um handeln zu können. Ansprechpartner war Kofi Annan. Die Berichte wurden wohl zurück gehalten und der Kommandeur aufgefordert nicht zu handeln. Im Gegenteil, als das Morden bereits begonnen hatte reduzierte der UN Sicherheitsrat die Blauhelme von 2500 Soldaten auf wenige Hundert.
Die zynische Ironie will es, dass alle Soldaten die der Westen während des Genozids in das Land entsandte nur um die eigenen Bürger zu evakuieren zusammen von Anzahl und Bewaffnung wohl gereicht hätten das Morden umgehend zu beenden.
Der kanadische Kommandeur, Roméo Dallaire wurde einer der größten Kritiker Kofi Annans.
Das Töten wurde erst durch einen Einmarsch der Tutsi Rebellen Armee beendet. Vorerst, denn in der folgenden unsicheren Phase gab es auch immer wieder Massentötungen.
Und nun ein zerstörtes Land. Überall Leichen, viele Hunderttausend tot und hunderttausende Täter und Mittäter. Wie soll das verarbeitet werden?
Ein Teil davon ist das Genocide Memorial.
Nach dem Genozid versuchte man ihn juristisch aufzuarbeiten. In einem Land in dem von ehemals 780 Richtern noch 20 am Leben waren. Es wurden Laiengerichte installiert. Sogenannte Grasgerichte. Hier urteilten Vertreter der Dörfer über Angehörige der Dörfer, die Anklage waren meist direkt die Angehörigen.
Von den vielen Zeitzeugenberichten ging mir die Schilderung einer Mutter besonders nahe. Im Grasgericht wurde ihr ehemaliger Nachbar verurteilt. Er hatte ihren Mann und ihre zwei Kinder ermordet. Er konnte der Mutter endlich sagen wo die Leichen ihrer Kinder verscharrt sind. Und dann fragte der Mörder die Mutter ob sie ihm verzeihen könne. Welch schreckliche Bitte.
Heute geht man davon aus, dass 1994 von den ruandischen Kindern 80% jemanden aus der Familie verloren haben, dass 70% direkt miterlebt haben wie jemand ermordet wurde und 90% geglaubt haben jetzt sterben zu müssen.
Ein ganzes Land mit posttraumatischer Belastungsstörung das gerade versucht Normalität zu leben und eigene Kinder groß zu ziehen.
In der Ausstellung gab es abschließend ein Bild von einem Paar die sich auf der Uni kennen gelernt haben. Auf dem Hochzeitsbild waren nur gleichaltrige Kommilitonen, alle Alten der Familien waren tot.
Das ist einer der längsten Einträge unseres Blogs und er kann die Komplexität des Völkermords hier in Ruanda nicht annähernd darstellen. Wer mehr verstehen möchte, es gibt einen ausgezeichneten Artikel auf Wikipedia:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Völkermord_in_Ruanda
Beeindruckt gingen wir wieder heim.
Wir nützten den Abend unsere Motorräder in Ordnung zu bringen. Wie positiv war es dabei, dass wir für die vielen Kinder der Nachbarschaft die Hauptattraktion waren und sie unsere Maschinen einfach lieben.
Morgen geht es nach Tansania. Und damit wieder mehr in die Natur.
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